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Barrierefreie KI: Wirklich für alle?

Künstliche Intelligenz ermöglicht neue Assistenzsysteme und öffnet Türen für Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie kann aber zugleich neue Barrieren für die gleichberechtigte Bildung schaffen. Während einige Menschen von KI-Technologien profitieren, bleibt anderen der Zugang verwehrt, sei es aus finanziellen Gründen, durch fehlende technische Infrastruktur oder mangelnde digitale Kompetenzen. Wie barrierefrei sind KI-basierte Anwendungen und populäre KI-Apps?

KI-Unterstützung für Menschen mit Beeinträchtigung
Bild: Adobe Stock

In Kürze zum Hören

KI-gestützte Bildungstechnologien für Menschen mit Beeinträchtigungen

Bildungstechnologien dienen Lernenden oft als pädagogische Werkzeuge – etwa zur Internetrecherche, zum Erstellen von Präsentationen und Texten oder als adaptive Hilfen bei Aufgaben wie Mathematikübungen. Für Lernende mit Beeinträchtigungen können Bildungstechnologien zusätzlich eine kompensierende Funktion übernehmen, zum Beispiel bei der Kommunikation oder der Rechtschreibprüfung.

Menschen mit Beeinträchtigungen müssen aber zusätzliche Hürden beim Zugang und in der Nutzung digitaler Technologien überwinden. KI kann eine Brücke schlagen, indem sie massgeschneiderte Lösungen für unterschiedliche Bedürfnisse bereitstellt, z. B. durch Sprachsteuerung oder personalisierte Bedienungshilfen. Künstliche Intelligenz bietet das Potenzial, Bildungstechnologien weiterzuentwickeln, indem sie Geräte intelligenter und individueller macht, insbesondere wenn diese von Lernenden mit Beeinträchtigungen als assistive Technologien genutzt werden, d.h. digitale Hilfsmittel wie Screenreader und Spracherkennungssoftware für den Computerzugang, aber auch spezialisierte Werkzeuge wie Braille-Zeilen für Sehbehinderte etc. (vgl. Schulz u. Schmidt-Meier 2024) (1)

KI für Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigungen

Für Personen mit komplexen Beeinträchtigungen bietet künstliche Intelligenz zahlreiche Möglichkeiten zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe. So kommuniziert die Dozentin Kathrin Klappe an der Universität mit einem Sprachcomputer (2). Seit 2025 kann sie dank einer KI mit der Stimme einer Stimmpatin sprechen.

Der sprechbehinderte Nationalrat Islam Alijaj verfügt mithilfe einer KI-Assistenz (3) über eine Stimme, die keine Beeinträchtigung aufweist und wird so in der Breite der Bevölkerung verstanden.

«Es war ein emotionaler Moment, mich das erste Mal (fast) ohne Sprechbehinderung zu hören.» (Islam Alijaj)

Und die komplex beeinträchtige Referentin der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation, Nele Diercks, benutzt die KI gleich für mehrere Aufgaben: E-Mails schreiben, Vorträge entwickeln, Märchen erfinden, Ko-Konstruktion und Leichte Sprache. (4)

Menschen mit spezifischen Kommunikationsbeeinträchtigungen profitieren von zusätzlichen Erweiterungen. KI kann Sprache erzeugen, Texteingaben vorausschauend erleichtern, Bilder und Symbole verarbeiten, Gesten und Gesichtsausdrücke erkennen und übersetzen.  

KI-basierte assistive Technologien sind so in der Lage, die digitale Teilhabe zu erleichtern. Ein Podcast-Beitrag der BBC setzt sich genau mit diesem Aspekt auseinander und stellt die Frage, ob ChatGPT ein «Verbündeter (Ally) von Menschen mit Behinderung» sei. (5)

Was die Möglichkeiten des KI-Einsatzes in der inklusiven Bildung betrifft, wird noch wenig diskutiert, wie barrierefrei (und damit alltagstauglich) solche Anwendungen sind und inwieweit sie dem Anspruch auf Bildung gerecht werden.

Beim KI-Einsatz in der inklusiven Bildung wird noch wenig diskutiert, wie barrierefrei solche Anwendungen sind.

Nur weil Inhalte digital zur Verfügung gestellt werden, bedeutet keineswegs, dass diese auch für alle zugänglich sind.

Barrierefreiheit KI-basierter Anwendungen

Als internationaler Standard für die Barrierefreiheit im Internet strukturieren die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) (6) Barrierefreiheit entlang der Dimensionen Wahrnehmbarkeit, Verständlichkeit, Bedienbarkeit und Robustheit. Diese Systematik lässt sich gut auf die Beurteilung von KI-Anwendungen übertragen. Besonders deutlich wird dies bei den ersten drei Dimensionen.

Im Bereich der Wahrnehmbarkeit ist ein häufig genanntes Beispiel der automatische Vorschlag von sogenannten Alternativtexten für Bilder für blinde Personen bei Facebook oder Instagram. Eine KI generiert kurze Bildbeschreibungen, die Screenreader sehbeeinträchtigten Nutzenden vorlesen können. Damit wird das Zwei-Sinne-Prinzip eingelöst, wonach digitale Inhalte sowohl visuell als auch auditiv zugänglich sein sollen. Allerdings stossen diese KI-generierten Alternativtexte schnell an Grenzen: Sie sind oft oberflächlich, verfehlen Kontext und Emotion und erkennen Objekte nicht immer korrekt. Humor, Ironie oder Textinhalte in Bildern bleiben meist unberücksichtigt, und besonders für Social-Media-Formate wie Stories oder Reels gibt es bislang keine solchen Alternativtexte.

Die Dimension Verständlichkeit lässt sich am Beispiel des Tools «SUMM AI» (7) illustrieren, das komplexe Texte automatisch in Leichte Sprache übersetzt. Menschen mit Lernschwierigkeiten, Bildungsnachteilen, ältere Personen oder Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, können dadurch rasch und ortsunabhängig auf verständliche Informationen zugreifen. SUMM AI ist als Webtool, Plugin oder API verfügbar und erfordert somit keine zusätzliche Software. Die Plattform selbst berücksichtigt grundlegende Zugänglichkeitsprinzipien wie kontrastreiche Gestaltung, grosse Klickflächen und die Bedienung per Tastatur. Auch Screenreader werden unterstützt. Dennoch ist die tatsächliche Nutzbarkeit der Oberfläche im Einzelfall zu prüfen, da die Anforderungen an eine barrierefreie Nutzung sehr individuell sein können.

Bei der Dimension Bedienbarkeit lässt sich die App «Be My AI» (8) heranziehen. Sie basiert auf GPT-4 und ermöglicht blinden oder sehbeeinträchtigten Menschen, Bilder hochzuladen und detaillierte Beschreibungen zu erhalten. Im Unterschied zu bisherigen Lösungen lassen sich im Chat Rückfragen stellen und Umgebungen live beschreiben, was eine massgebliche Erweiterung darstellt. Die App ist vollständig mit Screenreadern wie VoiceOver oder TalkBack kompatibel, unterstützt grosse Schrift, Bildschirmvergrösserung sowie hohe Kontraste und gilt als besonders intuitiv bedienbar. Damit zeigt sich, wie KI-Anwendungen konkret zur besseren Bedienbarkeit digitaler Angebote beitragen können. Insgesamt wird deutlich, dass sich die Vorgaben der WCAG bezüglich Wahrnehmbarkeit, Verständlichkeit und Bedienbarkeit auch auf KI-Anwendungen übertragen lassen und damit eine verlässliche Grundlage zur Bewertung ihrer Barrierefreiheit bilden.

Ist KI ein Verbündeter von Menschen mit Beeinträchtigungen?

Zahlreiche Anwenderinnen und Anwender freuen sich über die Menge an KI-gestützen Assistenzsysteme. Künstliche Intelligenz kann ein Verbündeter, ein «Ally» (5) von Menschen mit Beeinträchtigungen sein. Die Forschung zur KI für Menschen mit (komplexen) Beeinträchtigungen befindet sich in einem dynamischen Entwicklungsprozess. Sie können die soziale Teilhabe und Ausdrucksmöglichkeiten für Nutzerinnen und Nutzer erweitern.

KI kann die Qualität der zwischenmenschlichen Interaktion deutlich verbessern, indem sie die soziale Teilhabe und Ausdrucksmöglichkeiten erweitern.

Dazu trägt die individualisierte Anpassbarkeit von KI-Systemen bei. Die Frage bleibt, ist Barrierefreiheit lediglich ein Aushängeschild oder hat sie für die Entwicklungsfirmen wirklich Priorität? (9)

Autor: Ingo Bosse, HfH

17.9.25

Zur Vertiefung

  1. Schulz u. Schmidt-Meier 2024: Assistive Technologien und Künstliche Intelligenz: Ein KI-Kompetenzmodell zum Einsatz im Klassenzimmer.
  2. Teilhabe durch KI: Neue Stimme für Dozentin der Universität zu Köln
  3. Islam Alijaj kann sprechen und durch seine neue KI-Assistenz seine politischen Inhalte transportieren: Post auf LinkedIn von Islam Alijaj
  4. Nele Dericks benutzt KI zum Schreiben von E-Mails u.a.m.
  5. Is ChatGPT a Disability Ally? BBC Sounds. Access All: Disability News and Mental Health.
  6. Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)
  7. SUMM AI: KI-basiertes Tool, das komplizierten Text in Leichte und Einfache Sprache umwandelt.
  8. Be My AI: App zum Generieren von detaillierten Beschreibungen von Bildern.
  9. «Die KI ist gekommen, um zu bleiben.» (Krstoski u. Grandic 2025, 39).

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